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  • AutorenbildAntje Bek

Das Weihnachtsfest in schweren Zeiten – Wo finden wir Kraft und Zuversicht?


Ausschnitt aus dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, Colmar

Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren

Und nicht in dir, du bleibst doch ewiglich verloren.

Angelus Silesius


Am 22. Dezember 1918, kurz nach Ende des ersten Weltkrieges, spricht Rudolf Steiner in Basel über die Erneuerung des Weihnachtsgedankens[1]. Wie im pädagogischen Jugendkurs[2], den er 1922 hielt, macht er zunächst auf den Beginn eines neuen Zeitalters sowie auf eine Zeit neuer christlicher Offenbarungen aufmerksam: Das Ende des finsteren Zeitalters im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und das damit verbundene „Stehen vor dem Nichts“ kündigt den Beginn eines neuen Zeitalters an, welches wiederum zusammenhängt mit neuen Sehnsüchten, Fähigkeiten und Erlebnissen der nachfolgenden Generationen, also auch mit uns! Zu Beginn des Vortrages 1918 in Basel weist er zunächst auf die schweren, sehr schmerzvollen Nachkriegs-Zeiten hin, auf die vielen Toten der Schlachtfelder und die unzähligen Menschen, die unter Hunger leiden. Wie kann das Weihnachtsfest in diesen Zeiten zu einem Kraftquell werden, der den Menschen aus jeder Lage heraus aufzurichten vermag?


Das Weihnachtsfest selbst deutet auf das Mysterium der Geburt hin, das zu Beginn unseres irdischen Lebens steht, so wie der Tod und das Ostermysterium mit dem Ende unseres irdischen Lebens zusammenhängen. Zwischen diesen beiden Säulen ereignet sich unsere individuelle Biografie. Viele Menschen nehmen heute bereits sehr wach wahr, dass die Kinder - je jünger sie sind, umso deutlicher - Boten aus der geistigen Welt sind, da wir im kindlichen Wesen noch Nachklänge der Welt erleben können, aus der heraus es zu uns gekommen ist, einen Nachklang aus jener Welt, in der es sich aufhielt, bevor es sich mit einem physischen Leib umkleidet hat. Wenn wir diesen Gedanken nicht nur denken, sondern auch empfinden, dass sich die gesamte heute auf der Erde lebende Menschheit aus der geistigen Welt herausbegeben hat, um Erfahrungen zu machen, die eben nur innerhalb der irdischen Verhältnisse gemacht werden können, dann erleben wir den Gedanken der „Menschheitsfamilie“, dann empfinden wir unser individuelles Schicksal verbunden mit dem Schicksal der ganzen Menschheit.


Noch etwas anderes zeigen uns die Kinder, noch etwas anderes hängt mit dem Mysterium der Geburt zusammen, dies ist der Gedanke der Gleichheit. Zu Beginn des Lebens ist der Körper der Neugeborenen noch sehr unbestimmt, seine individuelle Form und Gestaltung erhält er erst im Laufe der Zeit durch die Arbeit der menschlichen Wesenheit an ihm, im Zusammenwirken mit den Kräften der Vererbung und Umgebung. Damit verbunden ist, dass sich das wahre Ich des Menschen, das sich zu Beginn des Lebens übersinnlich noch überwiegend im Umkreis bewegt, mehr und mehr an den Leib verliert, d.h. inkarniert und diesen individualisiert. Die kleinen Kinder, die noch im Nachklang der geistigen Welt leben, zeigen uns schon durch ihren vergleichsweise wenig individualisierten Leib, aber nicht nur durch ihn, dass sie ganz vom Gedanken der Gleichheit aller Menschen durchdrungen sind: Je jünger die Kinder, umso weniger machen sie Unterschiede zwischen den Menschen, mit denen sich viele Erwachsene in der aktuellen Zeit so schwer tun. Für kleine Kinder spielt das Geschlecht, Alter, die Hautfarbe, körperliche Beeinträchtigungen, die Moral des anderen Menschen keine bzw. kaum eine Rolle, Neugeborene geben sich an jeden anderen Menschen ganz vertrauensvoll hin. Rudolf Steiner macht darauf aufmerksam, dass der Gedanke der Gleichheit aller Menschen tatsächlich vom Christus Impuls angeregt ist, dass er, als er während der Französischen Revolution zum ersten Mal auftrat, allerdings noch nicht in der richtigen Weise verstanden wurde und daher zu den damaligen Tumulten geführt hat. Auch heute scheinen wir als Menschheit Schwierigkeiten beim Umgang mit diesem Gedanken zu haben, zu erkennen z.B. an den heftig geführten Gender- und Rassismus-Debatten. Dennoch gilt: Aus der geistigen Welt kommend sind wir alle gleich, daran erinnert uns das Weihnachtsfest, erst in den physischen Verhältnissen unserer Erde differenzieren wir uns nicht nur körperlich, sondern vor allem auch hinsichtlich unserer Fähigkeiten und Begabungen, vielleicht sogar unseres Genies aus. Erst im Verlaufe des Erdenlebens entstehen die kleinen und großen Unterschiede zwischen den Menschen.


„Ungleichheit erzeugt das physische Dasein; aus dem Geiste heraus wandert der Mensch gleich vor der Welt und vor Gott und vor andern Menschen. So verkündet das Mysterium des Kindes.“[3]


Diese Ungleichheit unter den Menschen kann zu bestimmten Empfindungen und Erlebnissen und damit zusammenhängenden Handlungen führen, welche nicht dem Wohle der Menschheit dienlich sind. Zum einen können Neid, Eifersucht und vielleicht auch Hass gegenüber denen auftreten, die vom Schicksal begnadeter zu sein scheinen als man selbst. Zum anderen können aber auch die eigenen Fähigkeiten und Begabungen dazu führen, dass man sie in erster Linie für sich selbst zu nutzen weiß, für seinen eigenen Vorteil, sein Ansehen, seinen finanziellen Erfolg etc.


Um mit seinen eigenen Möglichkeiten für das Gute, für das Heil der Menschheit wirken zu können, müssen diese uns geschenkten Begabungen in den Dienst des Christus Jesus gestellt werden, auf dem „Altar, der zu Weihnacht aufgerichtet wird“[4] dargebracht werden.


„… heilige deine Fähigkeiten, heilige deine Begabungen, heilige selbst dein Genie, indem du es beleuchtet siehst von dem Lichte, das von dem Weihnachtsbaum ausgeht.“[5]


Wie aber können wir uns innerlich von dem Lichte, das vom Weihnachtsbaum ausgeht, beleuchten lassen, wie mit dem Christus verbinden? Wie können wir den Christus-Impuls in unserer Seele finden, wie ihn in uns aufnehmen, wie können wir den Christus in uns selbst zur Geburt bringen, um dem Heile der Menschheit zu dienen?


Mit dem Beginn des neuen Zeitalters hängen – wie bereits oben erwähnt - neue Offenbarungen zusammen, die nun, anders als in früheren Zeiten, vom einzelnen Menschen mit vollem Bewusstsein aufgenommen werden wollen. Diese neuen Offenbarungen – so Rudolf Steiner in äußerster Bescheidenheit – werden versucht „stammelnd“ mitgeteilt zu werden durch die anthroposophische Geisteswissenschaft. Daran anschließend verwendet Rudolf Steiner ein wunderbares Bild: Auf den Flügeln dieser durch die Geisteswissenschaft formulierten Gedanken, können die neuen Offenbarungen, kann der Christus-Impuls in unserem Zeitalter in die Menschenseele einziehen. Die Gedanken, die Rudolf Steiner in der Geisteswissenschaft formuliert, fliegen wie die Vögel durch die Lüfte zu uns und auf ihren Flügeln tragen sie den Christus-Impuls! Die neuen Offenbarungen sind also im Wesentlichen nicht die Gedanken der Anthroposophie, sondern die Anthroposophie versucht diese neuen Offenbarungen so in Gedankenform zu gießen, dass sie jedem Menschen den wachen, heißt eigenen Zugang zu diesen neuen Offenbarungen ermöglicht. Was aber braucht es, damit das, was auf diesen Flügeln zu uns kommen möchte, wirklich in uns einziehen kann? Dazu ist im ersten Schritt notwendig, dass wir die Gedanken selbst denken, dass wir versuchen sie zu verstehen. Doch damit zieht das, was auf deren Flügeln in uns einziehen möchte, noch nicht verwandelnd in unsere Seele ein. Rudolf Steiner weist wieder und wieder darauf hin, auch die Pädagogen im Übrigen, dass wir die Gedanken empfinden lernen müssen, dass wir sie fühlen müssen, erst dann können sie ihre Wirksamkeit entfalten. Nicht wie eine Theorie will die Anthroposophie verstanden werden, kein Gedankengebäude will sie errichten, sondern sie möchte unsere Seele „bewegen, erwärmen, durchleuchten und durchströmen“[6]. Gedanken wirklich zu empfinden, wirklich zu durchleben, zu durchfühlen, das haben die meisten von uns gar nicht gelernt! Nichts zwingt uns dazu, diese Gedanken zu denken, noch weniger zwingt uns irgendetwas dazu, diese neuen Gedanken auch zu fühlen, wirklich in unserem Herzen zu bewegen. Doch wenn wir uns aus eigenem Entschluss, in Freiheit auf diesen Weg begeben, dann werden wir auch erleben, wie uns die tief empfundenen Gedanken der neuen Offenbarungen verwandeln, dann kann der Christus in uns geboren werden, der die Selbstsucht überwindet, der uns gegenüber der Unwahrheit mahnend zur Wahrheit auffordert und uns – bis ins Physische hinein - gesund macht.


´Mein Reich´, so sagt der Christus, ´ist nicht von dieser Welt.´ Ein Wort, das uns auffordert, wenn wir auf seine Geburt im rechten Sinne hinblicken, in unserer eigenen Seele zu finden den Weg nach jenem Reiche, wo Er ist, uns zu erkraften, wo Er ist, uns zu erleuchten, wenn es finster und kraftlos werden will, aus den Impulsen, die aus jener Welt sind, von der Er selber sprach, von der immerdar sein Erscheinen in der Weihenacht künden will. Aber Er hat dieses Reich in diese Welt gebracht, so dass wir aus diesem Reiche immer Kraft, Trost, Zuversicht und Hoffnung in allen Lebenslagen werden finden können, (…)“[7]




 

[1] Rudolf Steiner, Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden ? Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht, acht Vorträge, gehalten in Dornach und Basel vom 22. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919, Vortrag vom 22. Dezember 1918, GA 187, Seite 9 - 27 [2] s. Beiträge zum Pädagogischen Jugendkurs

https://www.antje-bek.de/blog/categories/p%C3%A4dagogischer-jugendkurs [3] Rudolf Steiner, Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden? Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht, Vortrag vom 22. Dezember 1918, GA 187, S. 16 [4] ebd., S. 20 [5] ebd. [6] ebd., S. 21

[7] ebd., S. 27


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