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  • AutorenbildAntje Bek

Ein Herz für die Erziehung - Pädagogik im Michaelzeitalter



Erzengel Michael, 13. Jahrhundert, Byzantinische Ikone des Katharinenklosters, Sinai


Dreizehnter Vortrag vom 15. Oktober 1922[1]

Rudolf Steiner, Pädagogischer Jugendkurs[2]


Vorbemerkung: Vor hundert Jahren sprach Rudolf Steiner in Stuttgart vor jungen Menschen, die zum größten Teil mit der Anthroposophie nicht vertraut waren. Worüber er damals sprach, scheint heute aktueller und brennender denn je zu sein. Daher habe ich mich entschlossen, eine kleine Serie zu beginnen. Je Beitrag möchte ich in der entsprechenden Reihenfolge auf einen der dreizehn Vorträge Rudolf Steiners eingehen. Es werden jeweils nur ausgewählte Gesichtspunkte der Vorträge behandelt, die in mir besondere Resonanz gefunden haben. Mit ist durchaus bewusst, dass dadurch andere wesentliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden. Wenn sich Menschen angeregt fühlten, anschließend selbst den erwähnten Vortrag zu lesen, wäre es mir eine große Freude! Den Link zum Vortrag findet man unten.


Seinen dreizehnten und damit gleichzeitig letzten Vortrag vor jungen Menschen hielt Rudolf Steiner am 15. Oktober 1922, also gut zwei Wochen nach dem Michaelifest, das auf den 29. September datiert ist. Dieses Fest liegt im Jahreslauf dem Osterfest, auf das wir nun gerade zuleben, genau gegenüber und steht mit diesem in Zusammenhang. Mi-cha-el ist Hebräisch und bedeutet: Wer ist wie Gott? Rudolf Steiner weist einmal darauf hin, dass wir Michael auch als das Antlitz des Christus verstehen lernen müssten. Im Abschlussvortrag des pädagogischen Jugendkurses will er alle Worte, die er in den vorangegangenen Vorträgen verwendet hat, in einem Bild zusammenfassen, genau gesprochen sei es „halb-bildlich“, eben nicht nur Bild. Dem Bild, das er dann verwendet, sind wir zur Michaelizeit, also im Herbst, näher als in der aktuellen Jahreszeit, es hat aber eine Bedeutung, die über die mit diesem Bild verbundene Festeszeit hinausgeht.


Der Drache

Zunächst spricht Rudolf Steiner über den Drachen, der im Begriffs- und Gedankenleben der heutigen Menschheit erscheint und den Menschen letztlich verschlingt, ihn in seinem Menschsein vernichtet: „Indem so etwas wie der Darwinismus – auch in unserer mitteleuropäischen Zivilisation – an die Stelle des Goetheschen Entwicklungsgedankens tritt, haben wir Begriffe, Ideen, die an der äußeren Natur wieder Leben gewinnen. Das ist aber ein Leben, das den Menschen verschlingt.“[3]


Wie können wir verstehen, was Rudolf Steiner damit meint? Er führt – neben Darwins Gedanken vom Überleben des Stärkeren in der Evolution – weitere Begriffe an, die es uns unmöglich machen, zu verstehen, was der Mensch seinem eigentlichen Wesen nach ist. So gilt z.B. bis heute das Paradigma, dass der Mensch ein höher entwickeltes Säugetier sei. „Der Mensch (...) ist nach der biologischen Systematik eine Art der Gattung Homo aus der Familie der Menschenaffen, die zur Ordnung der Primaten und damit zu den höheren Säugetieren gehört.“[4], heißt es beispielsweise in der Enzyplokädie „Wikipedia“.


Und weil wir den Menschen nicht verstehen, sondern Begriffe und Gedanken Leben gewinnen, die menschenfeindlich sind, werden wir selbst – als Menschen – von diesen Begriffen „verschlungen“. Der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker hat dies 42 Jahre nach Rudolf Steiner so ausgedrückt:


„Es ist charakteristisch für die Physik, dass sie nicht wirklich fragt, was Materie ist, für die Biologie, dass sie nicht wirklich fragt, was Leben ist, und für die Psychologie, dass sie nicht wirklich fragt, was Seele ist, sondern dass mit diesen Worten nur vage ein Bereich umschrieben wird, in dem man zu forschen beabsichtigt. Auf der anderen Seite darf man sich nicht darüber täuschen, dass das methodische Verfahren der Wissenschaft (nur bestimmte Fragen zuzulassen und andere auszuschließen, Anm. d. Verf.), das ich soeben charakterisiert habe, wenn es sich über seine eigene Fragwürdigkeit nicht mehr klar ist, etwas Mörderisches an sich hat.“[5]


Bis heute versteht die materialistische Wissenschaft nicht nur den Menschen nicht, sondern das Lebendige generell. Sie untersucht – bildlich gesprochen - den schwarzen Docht und das heruntergebrannte Wachs einer vormals brennenden Kerze, um damit dem Geheimnis des Lichtes auf die Spur zu kommen. Anders ausgesprochen: Zunächst wird alles Lebendige zerstört, zerteilt, zerkleinert, um durch Untersuchung der erstorbenen Materie das Lebendige zu erforschen.


Der Zustand unserer Erde und der Menschheit hängt mit dieser Art zu denken, mit diesen wissenschaftlichen Begriffen zusammen, mit denen wir alle imprägniert wurden, die in uns allen mehr oder weniger bewusst ihre Wirksamkeit entfalten. Diesem Drachen, der dem Leben und den Menschen feindlich gesonnen ist, begegnet jeder von aus auf diese Weise.


Dem Drachen kann man nicht entkommen

Vor 100 Jahren genauso wie heute gibt es Menschen, die diesen Drachen ahnen oder gar sehen und ihn meiden wollen. Sie fliehen in ein Leben, in dem sie sich vor den wissenschaftlichen Begriffen „sicher“ fühlen. Rudolf Steiner macht die damals jungen Menschen, die teilweise auch diesen Weg angetreten sind, darauf aufmerksam, dass auf diese Weise dem Drachen nicht zu entkommen ist. Dort, wo sie hinflüchten, wird die Luft „dünn“, so wie in großer Höhe in den Bergen. Und der Drache kommt einem dann zwar nicht mehr von außen entgegen, wird aber von innen als „Alpdruck“ erlebt.


Wissenschaft als alles erdrückende Autorität

Wie machtvoll der Drache in unser aller Leben wirkt und unsere Zukunft beeinflusst, haben wir in den letzten drei Jahren deutlich erleben können, Rudolf Steiner hat es bereits 1922 sehr treffend formuliert:


„Es hat niemals in der Welt eine so mächtig auftretende Autorität gegeben wie diejenige, die heute von der Wissenschaft ausgeübt wird. Vergleichen Sie sie mit der päpstlichen Autorität; sie ist fast ebenso groß. Man kann der dümmste Kerl sein, aber man kann sagen: Die Wissenschaft hat festgestellt. – Denken sie nur, wie die Menschen von der Wissenschaft mundtot gemacht werden, auch wenn man etwas Wahres sagt. Es gibt keine erdrückendere Autorität in der ganzen Menschheitsentwicklung als diejenige der heutigen Wissenschaft. Überall springt einem der Drache entgegen.“[6]


Erzengel Michael und lebendige Menschlichkeit

Es geht letztlich darum sich dem Drachen zu stellen und ihn zu besiegen – allerdings werden wir das als Menschheit alleine nicht schaffen, sondern wir sind darauf angewiesen uns einer anderen geistigen Wesenheit zuzuwenden, einem Erzengelwesen, das den Drachen bereits besiegt hat, gemeint ist der Erzengel Michael.


Rudolf Steiner weitet das Bild vom himmlischen Sieg des Michael über den Drachen aus und fragt, wie Michael in unserem Erdenleben wirksam werden kann? Er spricht darüber, dass Michael als geistiges Wesen einen Wagen, ein Fahrzeug braucht, um in das irdische Menschenwesen einziehen zu können und welche Bedeutung dabei insbesondere der Erziehung zukommt.


„Dazu brauchen wir lebendige Menschlichkeit, wie sie aus übersinnlichen Welten in das irdische Menschenleben sich hineinlebt und darinnen sich manifestiert, gerade in den ersten Zeiten des Menschenlebens. Aber wir müssen ein Herz haben für eine solche Erziehung.“[7]


Im Folgenden beschreibt er die Pädagogik, die er mit seinem Lehrerkurs 1919 in Stuttgart inauguriert hat, selbst als ein Wesen. Diese Pädagogik ist keine Theorie, kein Wissen, das wir uns ansammeln können. Rudolf Steiner charakterisiert sie hier selbst als ein Geistwesen, dessen Ankunft wir begrüßen und dem wir unsere Dienste anbieten können, mit jedem Kind von Neuem. Jeder, der sich mit dem Geist dieser Pädagogik verbinden möchte, jeder, der dem Geist dieser Pädagogik dienen möchte, kann damit zum Diener Michaels werden. Das, was die Menschen früher durch die Erziehung aus unbewussten seelischen Erkenntnissen in die Menschheit haben einfließen lassen, kann und muss heute zu vollem Bewusstsein erweckt werden, wenn es heilsam wirken soll!


Erziehung: Ein gegenseitiges Geben und Nehmen

Eine dem Menschenwesen gerecht werdende Pädagogik erkennt und beschreibt die Entwicklung des Kindes als Inkarnationsgeschehen, als das Einleben eines geistig-seelischen Wesens in einen belebten, physischen Körper. Wer sich mit den Grundlagen dieser Pädagogik beschäftigt, kann das menschliche Inkarnationsgeschehen in seinen einzelnen Schritten bewusster wahrnehmen und dadurch erkennen lernen, wie sich die geistige Welt in der kindlichen Entwicklung offenbart, wie sich die „lebendige Menschlichkeit“ gerade durch die jungen Menschenkindern aus den geistigen Welten in die irdische Welt hineinleben möchte.


In der Erziehung liegt für Rudolf Steiner der Schlüssel, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht. Im letzten Vortrag spricht er davon, dass es für die Lehrer und Pädagogen hilfreich sei, von den Kindern lernen zu wollen, weil sie Botschaften aus der geistigen Welt mitbringen. Wenn wir mit dieser Haltung den Kindern gegenüber treten, dann werden auch sie von uns das entgegen nehmen wollen, was wir ihnen aus dem Erdenleben entgegen bringen können. Wir lernen von den Kindern und sie von uns, es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.


„Wir müssen alle unsere Erkenntnisse schon so bewahren, dass sie rinnen können in den sich entwickelnden Menschen. Dann werden wir Michael das Fahrzeug zimmern, werden die Genossen des Michael werden können. Und dasjenige, was Sie wollen, meine lieben Freunde, werden Sie am besten dadurch erreichen, dass Sie sich bewusst werden: Sie wollen Genossen des Michael werden.“[8]

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Frieden


"(...) der Mensch muß sein irdisches Leben durchdringen mit einer Geistigkeit, die mitteilbar ist und die dem Menschen wiederum die Möglichkeit gibt, den Drachen zu besiegen.


So etwas muß man so gründlich verstehen, daß man sich selbst die Frage beantworten kann, warum sich die Menschen im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts zerfleischt haben. Sie haben sich zerfleischt, weil sie den Kampf auf ein Gebiet getragen haben, wo er nicht hingehört, weil sie den eigentlichen Feind, den Drachen, nicht gesehen haben. Zu seiner Besiegung gehören die Kräfte, die erst dann, wenn sie in der richtigen Weise entwickelt werden, auf die Erde den Frieden bringen werden."[9]


Aus den Schlussworten Rudolf Steiners während des Pädagogischen Jugendkurses am 15. Oktober 1922, vier Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges. GA 217, S. 196


 

[1] Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation, Pädagogischer Jugendkurs, Dreizehn Vorträge, gehalten in Stuttgart vom 3. bis 15. Oktober 1922, GA 217, S. 184 – 197 [2] Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation, Pädagogischer Jugendkurs, Dreizehn Vorträge, gehalten in Stuttgart vom 3. bis 15. Oktober 1922, GA 217

[3] ebd. S. 182 [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Mensch [5] C.F.v. Weizsäcker: Die Tragweite der Wissenschaft, Stuttgart 1964, S. 201 zit. n. Wolfgang Knüll, Nahtoderfahrungen – Blick in eine andere Welt, Aktuelle Antworten der Wissenschaft, Patmos-Verlag [6] Rudolf Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation, Pädagogischer Jugendkurs, Dreizehn Vorträge, gehalten in Stuttgart vom 3. bis 15. Oktober 1922, GA 217, S. 190 [7] ebd. S. 193 [8] ebd. S. 195

[9] ebd. S. 196


Bild: Quelle


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