Der offene Brief ist an Nele Auschra, Vorstandsmitglied im Bund der Freien Waldorfschulen, gerichtet, die das Webinar des Bundes am 19. Februar 2021 zum Thema: "Umgang mit Corona: Impfskepsis, Querdenken, Klagepaten - ein Einfallstor für Populisten und Rechte an Waldorfschulen?" moderiert hat.
Liebe Frau Auschra,
ich schreibe Ihnen, weil mir Ihre Schlussbemerkungen am Ende des gestrigen Webinars "Umgang mit Corona: Impfskepsis, Querdenken, Klagepaten – ein Einfallstor für Populisten und Rechte an Waldorfschulen?" noch ein kleines Hoffnungslicht gelassen haben. Sie hatten, wenn ich es recht verstanden habe, sinngemäß damit geendet, dass es wohl weitere Veranstaltungen bzw. Dialoge in Zukunft benötigen würde und das Thema noch nicht abgeschlossen sei.
Dem kann ich mich nur anschließen! Das, was gestern zu erleben war, hat sicherlich nicht zur Ermöglichung eines weiteren Dialogs beigetragen, sondern zur zunehmenden Polarisierung und Spaltung innerhalb der Waldorfschulbewegung.
Ich selbst stehe im Kontakt mit vielen Eltern und KollegInnen, die sich ernsthafte und begründete Sorgen um die physische und seelische Gesundheit/Entwicklung der ihnen anvertrauten Kinder machen. Um die Kinder ging es in dem gesamten Webinar - wie bei der Fragestellung auch nicht zu erwarten - kaum, an einer Stelle tauchten sie jedoch auf. Es wurde von Herrn Malcherek behauptet, dass sie von ihren Eltern, die mit Unterstützung der Klagepaten versuchen Rechte für ihre Kinder einzufordern, benutzt werden - für was eigentlich? Die Kinder selbst hätten gar kein Problem mit den Masken. Das ist eine Ohrfeige für alle Eltern, die verzweifelt sind. Und ich kenne einige Eltern, die verzweifelt sind. Weil sie nämlich die oben beschriebenen ernsthaften Sorgen haben, ihre Kinder aber z.B. trotz Maskenattest die Maske aufsetzen wollen, um sozial nicht ausgegrenzt zu werden. Diese Verzweiflung hat sich nun noch gesteigert, weil ab kommender Woche in vielen Bundesländern auch bereits in der Grundschule für den gesamten Unterrichtstag Maskenpflicht gilt. Und es gibt zahlreiche KollegInnen an den Schulen, die auch in ernst zu nehmenden Konflikten bezüglich der Maßnahmen stehen, teilweise wurde ihnen gekündigt, teilweise haben sie selbst gekündigt, weil sie das, was sie derzeit an Waldorfschulen erleben, nicht mehr aushalten.
Gut, es war auch nicht zu erwarten, dass es in dem Webinar um die Kinder gehen könnte. Es ging im Großen und Ganzen darum, wie die Waldorfschulen in der Öffentlichkeit dastehen, und wer dazu beiträgt, dass Waldorfschulen und Anthroposophie wieder zunehmend in die rechte Ecke gestellt werden. Während die dafür „Verantwortlichen“ in den eigenen Reihen gesucht und auch gefunden wurden, hat – insbesondere Herr Malcherek – das Gleiche getan, was z.Zt. in der Presse mit Anthroposophen, Impfskeptikern, Esoterikern und Querdenkern gemacht wird: Er schiebt Menschen, die kritisch auf die Maßnahmen schauen, in die rechte Ecke ab. Das ist eine Methode und basiert nicht auf einer ehrlichen, inhaltlichen Auseinandersetzung mit kritischen Beiträgen. Dieses Mal hat sie ganz persönlich insbesondere meinen lieben Kollegen Christoph Hueck getroffen, der ausdrücklich wegen seiner Aussagen über den Zusammenhang eines starken Immunsystems mit einer geringen Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an COVID-19 in die rechte Ecke gestellt wurde. Ich halte solche Aussagen von einem Justiziar des Bundes und außerdem Politikers – Herr Malcherek ist Mitglied der Partei „Die Linke“ und hat für das Oberbürgermeisteramt in Mainz kandidiert – in einer Veranstaltung wie der gestrigen für mehr als fragwürdig. Mir ist nicht begreiflich, warum er dafür eine derartige Plattform zugestanden bekommen hat. Gibt es vielleicht nicht nur mögliche „Einfallstore für Populisten und Rechte“, sondern auch bisher wenig beachtete Gefahren für die Waldorfschulbewegung von links?
Ich möchte mit diesem offenen Brief auf eine Entwicklung hinweisen, von der der Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen zumindest Kenntnis haben sollte, falls er sie noch nicht hat: Die unverstandenen Eltern und KollegInnen, denen die Kinder und die Waldorfpädagogik am Herzen liegen, und die zunehmend Ausgrenzung durch Kollegien oder durch den Bund der Freien Waldorfschulen (sei es durch Dialogverweigerung oder Kündigung) erleben, sind auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie sie die Waldorfpädagogik von den Wurzeln her, d.h. unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir Menschen auch geistige Wesen sind, neu impulsieren können. Das scheint mir kein Zufall zu sein nach 100 Jahren Waldorfpädagogik. Rudolf Steiner selbst hat darauf hingewiesen, dass jeder starke Impuls nach 100 Jahren einer Erneuerung bedarf und ansonsten verschwindet. Wenn es nicht gelingt, Eltern und Kollegen, die kritisch auf die Maßnahmen und deren Folgen für die Entwicklung der Kinder schauen, zu integrieren, wird es meiner Einschätzung nach eine Abspaltung geben. Dies ist ja nicht unbedingt bedauerlich: Auch zu Rudolf Steiners Zeiten gab es einmal Unvereinbarkeiten zwischen „alten“ und „jungen“ Anthroposophen. Rudolf Steiner war da letztlich sehr pragmatisch: Bevor man sich gegenseitig behindere, solle man doch zwei unterschiedliche Gruppierungen bilden.
Wie wird der Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen in Zukunft mit diesen Fragestellungen umgehen? Schielt er weiter nach „guter“ Presse und vermeintlicher Anerkennung in der Öffentlichkeit und trennt sich lieber von Kritikern und/oder schiebt sie in die rechte Ecke ab? Setzt er sich klar und deutlich für das Wohl der Kinder ein?
Insofern würde es mich wirklich sehr freuen, sollte es in Zukunft Veranstaltungen geben, in denen Vertreter unterschiedlicher Positionen einen echten Dialog über verschiedene Einschätzungen der derzeitigen Situation und auch der Wirkung der Maßnahmen auf die Kinder zu Wege brächten.
Herzliche Grüße
Antje Bek
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