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  • AutorenbildAntje Bek

Ich will! – Ich schaff´s nicht…

Vom inneren Schweinehund


Eine kleine Übungsreihe für Erwachsene, Jugendliche und Kinder zum Thema: Stress und Selbstbestimmung - Teil 1



Wer kennt das nicht – da hat man sich (gerne: Silvester) etwas vorgenommen, was man ab nun ändern möchte. Man hat sich etwa eine der beliebten Achtsamkeitsübungen vorgenommen – ab morgen, oder fängt man heute schon an? Vielleicht möchte man sich etwas abgewöhnen, was einen schon länger stört? Oder, oder… Jedem werden sicherlich lebensnahe Beispiele einfallen. Und was geschieht? Häufig: Gar nichts… Wenn es gut geht, fängt man – getragen vom ersten Enthusiasmus – zumindest an. Doch bereits übermorgen oder in der Woche drauf erlahmt man schon wieder. Was nun?


Sich dort abholen, wo man steht

In der Waldorfpädagogik sagt man oft so schön: Die Kinder da abholen, wo sie sind. Nun, wie wäre es, das mal mit sich selbst auszuprobieren?


Es gibt von Rudolf Steiner einen sehr interessanten und für unsere Zeit hochaktuellen Vortrag, der unter dem Titel „Nervosität und Ichheit“[1] bekannt wurde. Das Schöne an seinen Ausführungen ist, dass sie ganz praktische Vorschläge für Übungen enthalten, die einerseits helfen sich zu ent-stressen und gesünder zu werden, die andererseits im oben angeführten Sinne den eigenen Willen stärken können. Man könnte diesen Vortrag auch mit „Stress und Selbstbestimmung“ betiteln.


Übungen für Erwachsene und Kinder

Zusätzlich können wir durch die Beschäftigung mit den Wirkungen dieser Übungen etwas über den Menschen, über uns selbst und über Kinder erfahren. Wir können etwas darüber lernen, welche Bedeutung und Aufgabe wir als Erwachsene ihnen gegenüber haben. Darüber hinaus sind die Übungen in abgewandelter Form auch für Kinder, insbesondere ab dem Schulalter, geeignet.


Wie könnte man sich selbst nun da abholen, wo man steht? Es mangelt schließlich nicht an guten Vorsätzen oder an Vorstellungen darüber, was man tun will. Die scheinen jedoch nur bedingt oder gar nicht zu helfen. Es liegt an dieser Stelle eine grundsätzliche Schwierigkeit vor: Ich tue, was ich eigentlich will, letztlich nicht. (Den umgekehrten Fall gibt es selbstverständlich auch!) Der innere Schweinehund macht sich bemerkbar, der sich zwischen meine Vorstellungen (Vorsätze) und mein tatsächliches Tun drängt. Der hält mich davon ab. In welcher Schicht meines Wesens lebt denn dieser Schweinehund? Er scheint jedenfalls stärker zu sein, als die Instanz, die etwas ändern möchte, die die eigene Entwicklung in die Hand nehmen will. Wir entwickeln uns nur dort selbst bestimmt weiter, wo wir nicht nur in Vorstellungen, Wünschen und Vorsätzen leben, sondern in konkretes Handeln oder Üben kommen.


Unser „Ich“ und der „Schweinehund“

Die Instanz, die ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen kann, ist unser Ich. Durch unser Ich haben wir eine Fähigkeit, die uns vom Tier unterscheidet. Nur Menschen können ihre Entwicklung selbst in die Hand nehmen, gezwungen sind sie dazu nicht. Wir können uns etwa vornehmen, über einen gewissen Zeitraum nichts zu essen und das dann auch tun. Die Motive dafür können von selbstlos bis egoistisch reichen, darauf kommt es aber zunächst einmal nicht an. Ein Tier hat diese Möglichkeit nicht. Wenn es Hunger hat und etwas zum Fressen da ist, wird es auch fressen (es sei denn, der Mensch hat es dazu erzogen, das nicht zu tun.)


Unser Ich ist es auch, das bestimmte Übungen machen möchte, weil wir uns weiter entwickeln wollen. Und dann kommt dieser innere Schweinehund, was übrigens ein sehr passender bildhafter Ausdruck für das ist, was nun über uns und unser Tun bestimmt. Dieser Schweinehund findet dann alle möglichen Gründe, Ausreden, Ausflüchte etc., warum wir das, was wir eigentlich tun wollten, dann doch nicht tun. Bestenfalls sorgt er mit dafür, dass wir es einfach „vergessen“. Noch tiefer als das, was wir zunächst in unserem Kopf als sein „Geplapper“ hören können, liegen unsere Bequemlichkeiten, unser Bedürfnis nach Ruhe, Entspannung, Nichts-Tun. Die unseren eigentlichen Absichten entgegenwirkenden Bedürfnisse gehören einer speziellen Schicht unserer Seele an, Rudolf Steiner nennt diese Ebene auch den Empfindungsleib. Diese Ebene haben wir mit den Tieren gemeinsam. Wie sie haben auch wir Bedürfnisse, Triebe, Leidenschaften, Begierden (Nahrungstrieb, Schlaf- und Ruhebedürfnis, Fortpflanzungstrieb, etc.) und Emotionen, wie sie die höheren Tiere zeigen.


Mit „Nichts-Tun“ anfangen

Wie holen wir nun den Schweinehund da ab, wo wir mit ihm stehen? Das Problem ist ja, dass er verhindert, etwas zu tun, was wir eigentlich tun wollen. Wie wäre es, wenn wir mal etwas nicht tun, was wir tun wollen? Da hätten wir uns schonmal beim Nichtstun abgeholt.


Wir könnten uns harmlose Situationen vornehmen. Etwa eine, die jeder vom Einkaufen kennt: Wir sehen etwas, was in uns den Wunsch auslöst, es haben zu wollen, obwohl wir gar nicht auf der Suche danach gewesen sind. Es ist also etwas, das wir nicht wirklich brauchen, was wir uns auch noch nicht lange wünschen und nun endlich gefunden haben, sondern etwas, das ganz spontan in uns den Wunsch weckt, es zu kaufen. Es würde also nichts machen, wenn wir es nicht kaufen. In einer solchen Situation tun wir dann einfach mal nichts. Wir kaufen es also nicht. Es stellt sich ein mehr oder weniger leises Empfinden von Verzicht ein, aber nicht im Sinne einer Askese. In diesem Moment hat unser Ich – Selbstbestimmung - die Herrschaft über das errungen, was als Bedürfnis in unserem Inneren, ausgelöst durch einen äußeren Reiz, aufgestiegen ist. Dies ist eine Variante dieser Übung. Wenn man sich beobachtet, kann es am Tag viele solcher Reize geben, insbesondere auch durch die Möglichkeiten, die die digitalen Medien bieten, um eine derartige kleine Übung zu machen. Einfach mal nicht auf das Handy schauen in dem Moment, wo dieser Impuls innerlich auftritt. Später erst.


Es geht also darum, auf etwas zu verzichten, was aus der Seele als Bedürfnis aufsteigt, ohne dass dieser Verzicht eine negative Auswirkung auf unser Leben hat oder uns allzu schwerfällt. Dadurch stärken wir die Instanz in uns, die selbst bestimmt leben und sich entwickeln möchte.


Wie kann diese Übung nun für Kinder abgewandelt werden? Man könnte auf die Idee kommen, dass es für Kinder ebenfalls sehr hilfreich sein könnte, wenn sie aus den oben angeführten Gründen auch mal auf etwas verzichten würden. Man würde sie also zu der beschriebenen Übung anleiten.


Abwandlung der Übung für Kinder

Wer Kinder unbefangen beobachtet, wird bemerken können, dass es für sie bis zu einem bestimmten Alter nicht möglich ist, sich der Ich-Instanz so zu „bedienen“ wie wir Erwachsenen. Selbstverständlich haben auch sie bereits ein Ich, aber sie können damit noch nicht so umgehen wie wir, die wir zur Selbsterziehung im Sinne eines selbstbestimmten Entwicklungsweges in der Lage sind. Wir würden von ihnen etwas verlangen, was sie überfordern muss, wo wir doch von uns selbst schon wissen, wie schwer das ist.


Wenn wir ihnen – eine weitere Möglichkeit – aus den genannten „pädagogischen“ Gründen selbst etwas verwehren, weil sie dazu noch nicht in der Lage sind, dann wird das in den Kindern eine Antipathie gegen uns erzeugen, die dann schlimmstenfalls zum Gegenteil dessen führt, was wir eigentlich erreichen wollten: Der innere Schweinehund wird – spätestens, wenn sie dazu in der Lage sind – dafür sorgen, dass sie genau das tun oder haben wollen, was wir ihnen verwehrt haben. Damit sind jetzt nicht die Situationen gemeint, in denen man dies aus gutem Grund tut, sondern die, in denen man es tut, weil man denkt, dass die Kinder daraus die gleiche innere Stärke entwickeln könnten, wie wir durch unsere Selbsterziehung.


Wie könnte die Übung so durchgeführt werden, dass auch die Kinder davon profitieren? Wenn wir uns klar machen, in welch enger inneren Beziehung sie in den ersten 14 Jahren zu uns stehen, macht es Sinn, sie auch in ihrer Anwesenheit zu praktizieren, damit sie unsere innere Bewegung mit-erleben, mit-fühlen können. Je jünger Kinder sind, umso weniger müssen wir darüber sprechen, sie werden es – z.B. beim Einkaufen – miterleben, sie leben quasi noch in unseren Gedanken und Gefühlen, so innig sind sie mit uns verbunden. Je älter sie sind, umso eher können wir sie bewusster daran teilhaben lassen, indem wir unser Bedürfnis artikulieren: „Ach, das hätte ich jetzt wirklich gerne.“ Und dann kaufen wir es eben doch nicht, vielleicht noch mit dem Kommentar. „Aber eigentlich brauche ich das auch nicht.“


Willensschulung, d.h. Selbstbestimmung durch „Nichtstun“ – eine Möglichkeit seine Entwicklung und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.


Weitere Ãœbungen folgen.



[1] Rudolf Steiner, Zur Überwindung der Nervosität, Erziehung ist gut, Selbsterziehung ist besser, Bad Liebenzell, 2019 oder Rudolf Steiner, Erfahrungen des Übersinnlichen Die drei Wege der Seele zu Christus, Vierzehn Vorträge, gehalten zwischen Januar und Dezember 1912 in verschiedenen Städten, GA 143, Vortrag vom 11. Januar 1912, S. 9 - 28 Foto: Zhang Kenny / Unsplash

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