Wie die Dauer der Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen gesetzlich begrenzt wird
Im Oktober durfte ich zum zweiten Male in diesem Jahr in Peking sein, um dort in der Waldorflehrer-Ausbildung tätig zu sein. Dabei habe ich wieder neue Dinge erfahren, die mir bisher so nicht bekannt waren.
Jugendschutz in Deutschland, Europa und China
Ganz neu war mir, dass es in China Gesetze für die Dauer der Mediennutzung durch Kinder und Jugendliche gibt. Dazu kann man sich zunächst einmal klar machen, dass es für die Dauer der Mediennutzung in Deutschland keine gesetzlich geregelten Einschränkungen gibt. Alles hängt von den Eltern ab, sofern es zuhause stattfindet, oder von Regelungen, die an den einzelnen Schulen getroffen werden. Für Aufregung hatte es in Europa im Jahr 2015 gesorgt, als Frankreich ein generelles Handyverbot für alle Schulen auf den Weg brachte.
Wenn man sich mit den Auswirkungen der intensiven Mediennutzung beschäftigt, dann gibt es genügend wissenschaftliche Erkenntnisse, die die gesundheitlich schädigenden Auswirkungen belegen, wie etwa eine zunehmende Kurzsichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen durch den ständigen Blick auf das Smartphone, sodass der Blick in die Weite nachlässt. Aus eigener Erfahrung wird auch jeder, der als Erwachsener mit digitalen Medien umgeht, erleben, dass die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt wird und die Nutzung generell einen Suchtcharakter hat.[1]
Auch in Deutschland werden Kinder und Jugendliche vor potentiell süchtig machenden Substanzen und Verhaltensweisen geschützt. So ist Alkohol ab 16 Jahren, Rauchen und das Betreten von Spielhallen erst mit 18 Jahren erlaubt. Was im dreidimensionalen Raum gar nicht in Frage gestellt wird, wird im digitalen Raum unter dem Begriff „individuelle Freiheit“ wenig bis gar nicht gesetzlich geregelt.
Umso interessanter, wie der chinesische Staat damit umzugehen versucht:
Kindergärten
In den Kindergärten stehen – wie auch bei uns in vielen Kindergärten – digitale Medien für die Kinder zur Verfügung. Wie lange und wie oft sie dort genutzt werden, ist in Deutschland weder in die eine noch andere Richtung gesetzlich geregelt. In China ist es so, dass man aus dem Wissen um die Schädlichkeit der intensiven Nutzung digitaler Medien (je jünger die Kinder sind, umso stärker) auch Konsequenzen zieht und sie gesetzlich regelt. Die Erzieher dürfen die Kleinsten nicht mehr als eine halbe Stunde pro Woche an diese Geräte lassen. Dabei haben die Eltern die Möglichkeit die Pädagogen zu verklagen, wenn die Mediennutzung im Kindergarten die genannte Zeit überschreitet.
Schulen
Für Schulen gilt ein generelles Handyverbot, d.h. die Handys dürfen erst gar nicht in die Schule mitgebracht werden. Das betrifft alle Altersstufen! Wenn es den Eltern notwendig erscheint, dass ihr Kind ein Handy dabei hat, dann müssen sie einen begründeten Antrag stellen. Vor Unterrichtsbeginn ist das Handy dann jedoch abzugeben. Für die internationalen Schulen gilt, dass die Smartphones zwar mitgebracht werden dürfen, aber vor Unterrichtsbeginn abzugeben sind und danach wieder abgeholt werden können.
Online-Gaming
Noch drastischere Regelungen wurden 2021 für das Online-Gaming eingeführt. Jugendliche ab 12 Jahren dürfen nur noch drei Stunden pro Woche, also Freitag, Samstag und Sonntag jeweils eine Stunde, Online-Spiele machen. Um der zunehmenden Online-Spielsucht bei Jugendlichen entgegenzuwirken – in einer einflussreichen Regierungszeitung war von „geistigem Opium“ und „geistigen Drogen“[2] die Rede – , hat man diese Regelung eingeführt. Damit die Jugendlichen nicht andere Accounts – etwa die ihrer Eltern oder älterer Geschwister – nutzen können, werden sie beim Spielen mittels Gesichtserkennungstechnologie überwacht. Diese Konsequenz wurde gezogen, weil man in Südkorea, wo die Spielsucht bei Kindern und Jugendlichen ebenfalls ein riesiges Problem ist und etwa das Schlafverhalten der Kinder massiv beeinträchtigt, das nächtliche Spielverbot für Kinder und Jugendliche nach 10 Jahren wieder aufgehoben hat, denn es konnte durch Nutzung der Accounts der Eltern leicht umgangen werden.[3]
Ein Blick aus deutscher Sicht
Interessant ist , wie in Deutschland in den großen Medien auf das Vorgehen Chinas geblickt wird. Es wird in erster Linie als Eingriff in die Freiheit der Eltern und Jugendlichen gesehen, was es tatsächlich auch ist. Allerdings gibt es diese Eingriffe des Staates bei uns – wie anfangs dargestellt – für bestimmte Bereiche des Lebens von Kindern und Jugendlichen auch, man nennt das Jugend-schutz.
Auf der Website des Deutschlandfunks kann man als Kommentar einer Korrespondentin zu den drastischen Maßnahmen der chinesischen Regierung etwa lesen: „Auf der wirtschaftlichen Ebene ist das knallharte Marktregulierung, eine Eindämmung der Macht der Konzerne. Der Staat führt, die Unternehmen folgen, die Unternehmen müssen sich den Staatszielen unterordnen."[4]
Sollte es tatsächlich ausschließlich darum gehen, dass der Staat mit diesen Gesetzen die Wirtschaft anführen will, dann wäre ihr Argument durchaus zutreffend. Die nachvollziehbare Argumentation der Regierung lautet allerdings anders. Man darf sich daher begründet fragen, ob in Deutschland die „Freiheit der Wirtschaft“, aber auch die der verantwortlichen Eltern und Pädagogen, unter allen Umständen gewährleistet werden muss, selbst wenn das Geschäftsgebaren der Konzerne die Entwicklung der Kinder und damit deren Zukunft nachweislich schädigt. Die gesunde Entwicklung der Kinder soll in Deutschland also nahezu unhinterfragt der „Freiheit der Wirtschaft“ geopfert werden dürfen? Der chinesische Staat hat erkannt, dass man dadurch nicht nur die Entwicklung des einzelnen Kindes, sondern auch die der zukünftigen Gesellschaft beeinträchtigt.
Gesetze sind nicht alles
Zum Schluss soll noch angefügt werden, dass selbstverständlich durch eine entsprechende Gesetzgebung Pädagogen und Eltern nicht ihrer Verantwortung enthoben sind, für Kinder und Jugendliche Räume und Zeiten zu schaffen, in denen sie „echte“ Erlebnisse haben können, welche die Kräfte stärken, die ihnen später erst ermöglichen einen selbstbestimmten und damit freien Umgang mit Medien zu leben. Durch den Staat, d.h. durch Gesetze eingezogene Leitplanken könnten aber für Eltern und auch Schulen eine Hilfestellung sein, um im täglichen Kampf um die Dauer der Nutzung digitaler Medien mehr Rückendeckung zu haben bzw. das Bewusstsein für deren Schädlichkeit für Kinder und Jugendliche überhaupt erst zu wecken. Wie erleichternd und vielleicht auch sinnvoll, wäre es, wenn man – auch an einer Waldorfschule – nicht darüber diskutieren müsste, ob und ab wann Smartphones mitgebracht werden dürfen…
[1] Manfred Spitzer, Digitale Demenz – Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, München 2014 [2] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-computerspiele-101.html [3] https://www.heise.de/news/Suedkorea-Naechtliches-Online-Spielverbot-wird-gestrichen-6175663.html [4]https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/gaming-in-china-videospielzeit-fuer-kinder-und-jugendliche-auf-drei-stunden-beschraenkt
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